
(20.10.2025)
Deutschlands Versuch, Klima- und Umweltziele mit teuren Subventionen und strengen Vorschriften zu erreichen, ist weder zukunftsfähig noch global übertragbar. Die eigentliche Messlatte ist eine andere – die Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells, welches von Schwellen- und Entwicklungsländern übernommen werden könnte. „Den Tanker umsteuern!“ liefert eine erweiterte Begründung für die Umverlagerung der Steuer- und Abgabenlast vom Faktor Arbeit zum Faktor Energie. Hier – in der Verknüpfung von Finanzierungs- und Lenkungswirkung – finden wir den Archimedischen Punkt zur Umsteuerung in eine nachhaltige Marktwirtschaft.
“Es fehlt nicht an einer Vision, sondern am Weg dorthin” Ulrike Herrmann [1]
- Wir stecken im Dilemma zwischen Wachstumszwang und den planetaren Grenzen.
Rettung soll das „Grüne Wachstum“ bringen – doch dieser Weg führt in eine Sackgasse. Der CO₂-Ausstoß ist nur ein Teilaspekt der ökologischen Überlastung; der insgesamt viel zu hohe Ressourcenverbrauch bleibt weitgehend unbeachtet. Für Deutschland ist eine Halbierung des Pro-Kopf-Verbrauchs notwendig. Bisher fehlen sowohl klare Zielvorgaben als auch die erforderlichen Instrumente.
- Deutschland und Europa müssen ein neues Leitbild für den Weg in eine nachhaltige Wirtschaft entwickeln.
Selbst wenn Deutschland mit viel Geld seine Klimaziele erreicht, ändert das fast nichts an der globalen Klimakrise. Die eigentliche Messlatte für Deutschland und Europa ist die Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells, welches von Schwellen- und Entwicklungsländern – die bisher unserem wachstumsorientierten Modell folgen – übernommen werden könnte.
- Das Faltungsprinzip zeigt den Weg aus dem Wachstumszwang.
Eine Lösung aus dem Wachstumszwang liefert das Faltungsprinzip. Klare Faltungsgrenzen sorgen dafür, dass dynamische Systeme schon vor dem Erreichen der Grenze ihren Pfad ändern. Das Wachstum verlagert sich dann von der Menge zur Vielfalt. Grenzen müssen durch verbindliche Rahmenbedingungen gesetzt werden.
- Neoklassische Modelle unterschätzen die Rolle der Energie.
In den Modellen der neoklassischen Ökonomie ist Energie kein eigenständiger Produktionsfaktor. Das widerspricht den ersten beiden Hauptsätzen der Thermodynamik: „Nichts kann auf der Welt geschehen ohne Energieumwandlung und Entropieproduktion.“ Empirische Untersuchungen für große Volkswirtschaften zeigen: Die Bedeutung der billigen Energie zum Wirtschaftswachstum übertrifft den der teuren Arbeit deutlich. Das widerspricht der neoklassischen Annahme, wonach ein Gleichgewicht zwischen der Produktionselastizität (als Maß für die Bedeutung des Faktors) und seinem Kostenanteil besteht.
- Die Schieflage zwischen Arbeit und Energie ist die eigentliche Ursache für den derzeitigen Wachstumszwang.
In Deutschland fließen rund zwei Drittel aller Steuern und Abgaben über den Faktor Arbeit. Das hat zur Folge, dass teure menschliche Arbeit durch energiegetriebene Maschinen ersetzt wird. Für die freigesetzten Arbeitnehmer müssen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die im nächsten Schritt wieder ersetzt werden usw.
- Umverlagerung der Steuerlast mit zweifach positiver Lenkungswirkung.
Wichtigste Schlussfolgerung aus den genannten Untersuchungen: die Umverlagerung der Abgabenlast vom Faktor Arbeit zum Faktor Energie. Arbeit wird günstiger, Energie deutlich teurer. Sämtliche Prozesse der Ressourcennutzung sind mit einem enormen Energieverbrauch verbunden. Die Energiesteuer (auch für erneuerbare Energien) übernimmt damit die Funktion einer Ressourcensteuer.
- Finanzierung des Sozialsystems über Energiesteuern.
Die Einnahmen aus der Energiesteuer werden zurückgezahlt: an die Wirtschaft über eine Senkung der Sozialabgaben, an die Verbraucher über ein Energiegeld pro Kopf der Bevölkerung. Mit der schrittweisen Finanzierung des Sozialsystems über Energiesteuern wird die Finanzierung des Rentensystems auf eine dauerhaft solide Finanzbasis umgestellt.
- Der CO2-Preis muss ins Zentrum der Klimapolitik gestellt werden. Beim Emissionshandel ETS 2 für Gebäude und Verkehr droht ein Scheitern.
Die Lenkung über den CO2-Preis ist deutlich effizienter als die Förderung von Einzelmaßnahmen bei einem niedrigen CO2-Preis. Beim ETS 2 gefährden Preispfad-Unsicherheit und Akzeptanzprobleme, verstärkt durch das Fehlen eines sozialen Ausgleichs, die praktische Umsetzung. Angesichts der politischen Lage in Europa droht eine Verwässerung des Instruments. Zudem sorgt der Wasserbetteffekt dafür, dass zusätzliche Einsparungen ausgebremst werden.
- Mit dem Schweizer Modell steht ein erprobtes Modell als Alternative zur Verfügung.
Von Seiten der EU würden nur die Reduktionsziele vorgegeben werden. Ein nationaler CO2-Steuerpfad mit jährlicher Anpassung, transparentem Zielkorridor und Rückzahlung von 70 Prozent der Einnahmen an Wirtschaft (über Absenkung der Sozialabgaben) und Verbraucher (über Klimageld) schafft Investitionssicherheit, sozialen Ausgleich und politische Akzeptanz. Die übrigen 30 Prozent werden gezielt für sozial schwache Gruppen verwendet.
- CO2- und Energiesteuer werden als zweistufiges Modell miteinander verbunden.
Die CO2-Steuer setzt zuerst ein, die Energiesteuer schließt daran an. Mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energien sinken die Einnahmen aus der CO2-Steuer, während die Energiesteuer (auf alle Energieformen) eine dauerhafte Finanzierung des Sozialsystems absichert.
- Zum Zeitrahmen der Reform – Investitionen brauchen eine klare Perspektive.
Zwei gegenläufige Grundsätze sind zu beachten: Wirtschaft und Verbraucher brauchen Zeit zur Umstellung auf neue Rahmenbedingungen, während die globalen Krisen ein möglichst rasches Handeln fordern. Notwendig ist die Formulierung einer klaren Perspektive, welche den Maßstab für Investitionen verändert und damit Fehlinvestitionen vermeidet.
- Das Modell zielt auf eine europäische Perspektive. Nationale Vorreiterrollen sind jedoch sinnvoll und möglich.
Europa braucht insgesamt ein Leitbild für den Weg in eine nachhaltige Zukunft. Der europäische Binnenmarkt ist groß genug, um eine solche Reform umsetzen zu können. Einzelne Staaten können dabei eine Vorreiterrolle übernehmen. Sinnvoll kann auch ein Vorziehen für Krisenregionen und -branchen sein. Für energieintensive Industrien braucht es Grenzausgleichsabgaben auf EU-Ebene analog den Klimazöllen.
- Das bisherige Konzept von Freihandel ist nicht zukunftsfähig
Das Freihandelskonzept beruht auf permanentem Wirtschaftswachstum. Inzwischen ist ein Bumerang-Effekt zu beobachten: Die Überproduktion Chinas überschwemmt europäische Märkte und gefährdet zentrale Teile der europäischen Industrie. Da der Ressourcenverbrauch auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden muss, sollten wir uns rechtzeitig auf eine Schrumpfung der Exportwirtschaft einstellen.
- Die Digitalisierung muss sich dem Ziel einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft unterordnen.
Heute wirkt Digitalisierung oft als Brandbeschleuniger für nicht-nachhaltige Trends: mehr Daten-, Energie- und Ressourcenverbrauch. Die Werbeindustrie, deren Geschäftsmodell auf der Generierung immer neuer Bedürfnisse beruht, muss reguliert werden. Wir brauchen klare Regeln für Algorithmen – zudem Digitalsteuern, um die Datenflut zu begrenzen und die Gewinne aus der Datennutzung für öffentliche Aufgaben zu nutzen. Gerade die Nutzung von KI braucht ein klares Leitbild in Richtung Nachhaltigkeit.
- Soziale Medien: Die Politik muss den gemeinsamen kommunikativen Raum wiederherstellen.
Ohne gemeinsame Erzählungen fehlt ein Band, das die Gesellschaften zusammenhält. Algorithmen der sozialen Medien belohnen Empörung, fragmentieren die Öffentlichkeit. Damit schwindet die Handlungsfähigkeit der Politik. Nötig sind klare Regeln, welche die bisherige Ausrichtung der Algorithmen auf Maximierung von Werbeeinnahmen unterbindet. So kann Raum für ein gemeinsames Narrativ geschaffen werden.
- Leitbild für den Weg in eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft
Die Angst vor einem Zusammenbruch der Wirtschaft erweist sich als falsch. Anstelle der ressourcenintensiven Massenproduktion wird eine Diversifizierung der Produktion angestoßen. Nachhaltige Konzepte werden wirtschaftlich, Innovationen verschieben sich hin zu Langlebigkeit, Modularität, Service und Kreislauf. Mit der Stärkung der Realwirtschaft ist auch eine Regulierung der Finanzindustrie möglich. Das Verhältnis von Staat und Markt wird neu geregelt: Der Staat setzt klare Rahmenbedingungen für den Markt, welcher zum effizienten Diener auf dem Weg in eine nachhaltige Gesellschaft wird.
Grafik: mit Unterstützung von KI (ChatGPT, 12.10.2025)
[1] U. Herrmann Der Sieg des Kapitals Piper-Verlag 2015, S. 245
Druckfassung (pdf): Tanker-Thesen_20.10.25