Klimapolitik aus der Sackgasse holen (Teil 1)

Von | März 25, 2025

(25.03.2025)

Die Klimapolitik ist in einer Sackgasse angekommen. Nichts macht dies so deutlich wie die aktuelle Aussage von CDU-Klimapolitiker Thomas Heilmann, der für die Klimapolitik nur die Alternativen „Förderung“ oder „Verbote“ im Blick hat. [1] Keine guten Aussichten in Zeiten knapper Kassen, global der Normalfall. Wir wollen uns ansehen, wie wir aus diesem Dilemma herauskommen können. Im Zentrum stehen dabei die Instrumente zur sinnvollen Um-Steuerung des Marktes.

(Die drei Teile dieses Blogbeitrages stammen aus einem Kapitel des in Arbeit befindlichen Buchprojekts „Nicht der Markt ist das Übel, sondern seine Fehlsteuerung“).

CDU-Klimapolitiker Thomas Heilmann findet die Einigung über die zusätzlichen 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz im schuldenfinanzierte Finanzpaket bedeutsam: „Weil es der Politik ermöglicht, mit Förderung Klimaschutzziele zu erreichen und nicht mit Verboten. Wenn man aber kein Geld für Förderung hat, und das drohte zu passieren, dann muss ich mit Verboten reagieren.“ [1]

Für die Klimapolitik ist klar, dass der Ausstoß von CO2 und anderen Klimagasen bis Mitte des Jahrhunderts (eher früher) auf nahezu Null reduziert werden muss. Die Frage ist allerdings, mit welchem Instrument diese Faltungsgrenze abgesichert oder umgesetzt werden soll.[1] Klar ist, dass es einen Mix von Instrumenten braucht. Es ist jedoch zu klären, was im Zentrum der Klimapolitik stehen soll: Subventionen und Ordnungsrecht (Verbote und Grenzwerte) oder der CO2-Preis. Beim CO2-Preis haben wir wieder zwei Varianten: den Emissionshandel und die CO2-Steuer. Die EU plädiert klar für den Emissionshandel. Wir werden im Folgenden sehen, dass das Instrument mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen behaftet ist. Es scheint notwendig zu sein, über Alternativen nachzudenken, weil ein mögliches Scheitern erhebliche klima- und gesellschaftspolitische Folgen hätte. Wir müssen dabei auch bedenken, dass ein Modell gesucht wird, welches attraktiv sein muss auch für wirtschaftlich und administrativ schwächer aufgestellte Regionen.

Ordnungsrecht und Subventionen oder der CO2-Preis

Die Frage taucht immer wieder auf, wenn es um Umweltpolitik geht. Wir wollen uns zwei aktuelle Beispiele ansehen. Das erste Beispiel betrifft den Streit um das Verbot von Verbrennerfahrzeugen. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass ab 2035 keine neuen PKWs mit Verbrennermotor zugelassen werden sollten. Nach erheblichem Widerstand von einigen Staaten und Teilen der Autoindustrie wurde ein Kompromiss gefunden, wonach Verbrennerfahrzeuge auch nach 2035 zulässig sind, sofern sie ausschließlich mit CO2-freien synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.

Dieser teilweise emotional geführte Streit war völlig unnötig. Weil von so einem Verbot ohnehin nur die Neuwagen betroffen wären. Die bis dahin zugelassenen PKWs würden noch weitere zehn bis zwanzig Jahre fahren können. Diese Frage hätte sich viel einfacher erledigt, wenn der CO2-Preis im Mittelpunkt stehen würde und dabei klar wäre, dass der CO2-Preis in den nächsten Jahren schrittweise auf 300 Euro pro Tonne CO2, die Höhe der Folgekosten laut Umweltbundesamt, steigen wird. [2]

Das zweite Beispiel betrifft den Streit um das Heizungsgesetz. Auch hier ist eine Schieflage im Instrumenten-Mix erkennbar. Im Detail wird per Gesetz geregelt, wie der Umstieg auf klimafreundliche Heizungsformen erfolgen soll und welche Investitionszuschüsse möglich sind. Die Heizungsindustrie wurde vom Wirtschaftsministerium unter erheblichen Druck gesetzt; die Produktion sollte so schnell wie möglich von Gasheizungen zu Wärmepumpen umgestellt werden. Der Streit über Details des Gebäudeenergiegesetzes einschließlich der Unklarheit über die Entwicklung des CO2-Preises führten dann jedoch zum Einbruch des Wärmepumpenmarktes. Wie groß die Unsicherheit beim CO2-Preis für Gebäude und Verkehr ist, werden wir noch sehen.

Emissionshandel oder CO2-Steuer?

Die zweite Grundsatzfrage dreht sich um die Frage nach dem Preisinstrument. Von Seiten der EU hatte es in den 90er Jahren verschiedene Versuche für die Einführung von CO2- oder Energiesteuern gegeben. Sie scheiterten alle am Zwang zur Einstimmigkeit bei der Einführung von gemeinsamen Steuern. Der 2005 eingeführte Europäische Emissionshandel (EU-ETS) galt dagegen als Regulierungsmaßnahme, wofür die einfache Mehrheit reichte. [3]

Dieser Handel funktioniert nach dem Prinzip „Cap & Trade“, Begrenzen und Handeln. Im EU-ETS werden die Emissionen von Anlagen der Energieerzeugung und der energieintensiven Industrien erfasst. Mit einer Obergrenze (Cap) werden die Gesamtemissionen der beteiligten Anlagen festgelegt. Von den Mitgliedstaaten werden Emissionsberechtigungen an die Anlagen ausgeteilt, lange Zeit kostenlos, bis 2030 soll die Hälfte der jetzt noch kostenlosen Zertifikate versteigert werden, bis 2034 dann die Gesamtmenge. Parallel dazu wird schon jetzt die Gesamtsumme der Zertifikate schrittweise reduziert.

Ein wichtiges Argument für den Emissionshandel war die (theoretische) Planbarkeit der CO2-Reduktion. Beim Emissionshandel könne das Ziel jeweils genau bestimmt und dann auch umgesetzt werden. Dafür ist der Preis unklar, weil er sich am Markt entsprechend Angebot und Nachfrage bildet. Im Unterschied dazu könne mit der CO2-Steuer zwar die Höhe genau bestimmt werden, aber nicht das Emissionsziel. Wir werden sehen, dass die These zur CO2-Steuer überholt ist, wie die Schweizer Praxis zeigt, aber dazu später. Nach einer fast 15-jährigen Anlaufphase, in welcher der CO2-Preis lange unter 10 Euro pro Tonne lag und die Emissionen kaum reduziert wurden, war der Preis im Jahr 2023 zwischenzeitlich auf knapp 100 Euro gestiegen. Das ist vor allem ein Erfolg der Reformen seit 2019, mit denen der Anteil der zu versteigernden Zertifikaten vergrößert und die Herausnahme von überzähligen Emissionsberechtigungen vereinbart wurde. Im Jahr 2024 ist der Preis allerdings wieder auf etwa 65 Euro abgefallen. Die unklare Preisentwicklung ist natürlich alles andere als hilfreich für notwendige Investitionsentscheidungen.

Darüber hinaus gibt es jedoch weitere ungelöste Fragen.

Der Wasserbetteffekt

Der Ökonom Achim Warmbach, seit 2006 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, antwortet auf die Frage, ob man dem Klima helfe, wenn man Ökostrom kaufe, auf den Wochenendflug nach Barcelona verzichte oder sich eine Solaranlage aufs Dach baue, mit einem dreifachen Nein. [4]

Wenn wir weniger fliegen, benötigt die Fluggesellschaft weniger Zertifikate. Die Branche hat ein festes Budget. Jemand anderes wird sie kaufen und entsprechend nutzen. Genauso ist es mit dem Ökostrom oder der Solaranlage. Beides verändert nichts am zulässigen Budget der Energiewirtschaft. Durch zusätzlichen Ökostrom nicht benötigte Zertifikate erhöhen das Angebot an Zertifikaten an der Börse, senken damit den Preis, die Kosten für andere Energieunternehmen sinken. Entsprechend dieser Logik war die Vorreiterrolle Deutschlands mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien auch mitschuldig an der drastischen Talfahrt der CO2-Preise in den Jahren vor 2017. Weil die vermiedenen Emissionen die Nachfrage nach Zertifikaten und damit den CO2-Preis abstürzen ließen. [5]

Die drei Beispiele schildern die Situation im schon bestehenden Emissionshandel, der die Emissionen in den Bereichen Stromerzeugung, energieintensive Branchen und Luftverkehr regelt.
Dieses Dilemma zeigt sich auch bei der Frage einer vorzeitigen Abschaltung von Kohlekraftwerken. Wenn diese vorzeitig vom Netz gehen, wofür viele Umweltaktivisten kämpfen, werden weniger Emissionszertifikate benötigt. Die Zertifikate sind aber bares Geld und können an der Börse verkauft werden. Wenn das passiert, sinken zwar die Emissionen in Deutschland, steigen aber irgendwo anders in Europa an. Ökonomen bezeichnen dies als Wasserbetteffekt: Das Einsinken auf einer Seite des Bettes führt zur Erhöhung der Matratze an anderer Stelle. Das Volumen im Wasserbett bleibt in jedem Fall gleich.

Es gibt zwar die Aufforderung an die Mitgliedsländer, Zertifikate, die durch den nationalen Kohleausstieg überflüssig werden, aus dem Handelssystem zu löschen. [6] Dafür genügt ein Brief nach Brüssel. Tatsächlich gibt es aber keine Pflicht zur Löschung. Der Hintergrund: Die Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikate gehen an die Mitgliedsländer. Wer die Zertifikate löscht, verschenkt also Geld. Geld, das im günstigsten Fall sogar für Klimaschutzmaßnahmen eingeplant ist. Im Übrigen steigt der Energiepreis, wenn es weniger Zertifikate gibt, mit entsprechenden Folgen für die nationalen Stromkunden. Ein unauflösbares Dilemma für jeden Energieminister. Tatsächlich wurde diese Option während der Amtszeit von Klimaminister Habeck bei keinem der vorzeitig abgeschalteten Kohlekraftwerke genutzt. [7] Die Zertifikate blieben im Umlauf, damit auch die Gesamtemissionen innerhalb der EU. Die vorzeitige Abschaltung von Kohlekraftwerken war demnach ein Scheinerfolg. Sie führte nur zur Absenkung des CO2-Preises für die verbleibenden Kohlekraftwerke.

Noch fragwürdiger könnte es werden, wenn der Bereich Wohnen und Verkehr einbezogen wird. Was passiert mit überflüssigen Zertifikaten, wenn die Bürger über den Plan hinaus CO2 einsparen wollen? Wenn sie etwas tun wollen gegen den Klimawandel, weniger Auto fahren, die Gebäude schneller als gedacht dämmen, im Winter lieber einen Pullover anziehen, statt die Heizung aufzudrehen? Kann der klimabewusste Bürger darauf vertrauen, dass seine ganz privaten Energiesparmaßnahmen nicht durch den genannten Wasserbetteffekt ad absurdum geführt wird? Oder hat Professor Warmbach recht, wenn er meint, wir sollten alles dem Emissionshandel überlassen?

(weiter siehe Teil 2)

Kommentare an: kontakt@tanker.blog

 

[1] M. Polansky, „Grüner Grundton in der Klimapolitik?,“ [Online]. Available: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/finanzpaket-klimapolitik-100.html.
[2] U. (UBA), „Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen,“ [Online]. Available: https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/gesellschaftliche-kosten-von-umweltbelastungen.
[3] B. Bidder, „Diese Steuer kann das Klima retten – ohne Steuerzahler zu ärgern,“ pp. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/klimawandel-so-wuerde-eine-co2-steuer-funktionieren-a-1220510.html.
[4] K. Rudzio und M. Widmann, „Der Klima-Deckel,“ pp. https://www.zeit.de/2022/42/achim-wambach-klimaschutz-emissionshandel-klimapolitik/komplettansicht.
[5] H.-W. Sinn, „ifo Standpunkt Nr. 131: Abgesang auf das EEG,“ [Online]. Available: https://www.hanswernersinn.de/de/Ifo-Viewpoint-No–131–Abgesang-auf-das-EEG.
[6] M. Bloss. [Online]. Available: https://michaelbloss.eu/de/presse/themenhintergrund/eu-co2-handel-einigung-ueber-europas-groessten-klimahebel.
[7] G. P. Energy, „CO2-Zertifikate löschen, um Klimawirkung des Kohleausstiegs zu sichern,“ pp. https://green-planet-energy.de/presse/artikel/co2-zertifikate-loeschen-um-klimawirkung-des-kohleausstiegs-zu-sichern?utm_source=chatgpt.com.
[8] A. Levermann, Die Faltung der Welt, Berlin: Ullstein, 2023.

 

[1] Ich beziehe mich hier auf das aus der Mathematik bekannte Faltungsprinzip. Dynamische Systeme brauchen klare Grenzen, sonst explodieren sie. Siehe Anders Levermann [8]