Ressourcenverbrauch – der Blinde Fleck der Umweltpolitik

Von | September 9, 2024

(aktualisiert 12.10.2024)

Die deutsche und europäische Umweltpolitik hat sich das Leitbild vom Grünen Wachstum auf die Fahnen geschrieben. Dabei ist die Grundfrage nicht beantwortet: Ist Grünes Wachstum tatsächlich möglich? Für die erforderliche Halbierung des Ressourcenverbrauchs in Deutschland gibt es nicht einmal Zielvorgaben.

Wenn wir „Grünes Wachstum“ sagen, reden wir zumeist von der Einsparung von Treibhausemissionen. Luisa Neubauer zeigt in ihrem neuen Buch „Klima-Atlas“ [1] mit Hilfe einer Grafik, wie in 16 Ländern, darunter Deutschland, die USA, Schweden, Japan etc., der CO2-Ausstoß zwischen 2001 und 2021 gesunken ist, während das Bruttoinlandsprodukt zum Teil deutlich gestiegen ist. Fragwürdig ist allerdings die Überschrift der Grafik: „Grünes Wachstum ist möglich“.

Das Umweltbundesamt schreibt: „Grünes Wachstum ist dann erreicht, wenn bei positivem Wirtschaftswachstum Umweltbelastungen und Ressourcenentnahme stagnieren oder sogar rückläufig werden.“ [2] Der neue UN-Report “Global Resources Outlook 2024” [3] sagt klar: Ressourcengewinnung und -verarbeitung ist die Hauptursache für die dreifache Krise des Planeten: den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt sowie die Zunahme von Umweltverschmutzung und Abfällen. Über 55 Prozent der Treibhausgasemissionen und mehr als 90 Prozent Verlusts an biologischer Vielfalt sind auf diesen Faktor zurückzuführen.

Paradebeispiel Elektromobilität

Wir wollen uns das Beispiel der Elektromobilität ansehen, ein Paradebeispiel für das angestrebte Grüne Wachstum. Auch Elektroautos brauchen Straßen, Brücken, Parkplätze. Der Klimaexperte Sven Plöger schreibt: „Man könnte es als Erfolg der Automobilindustrie bezeichnen, uns weiszumachen, der Antriebsmodus sei das einzige Problem des Individualverkehrs. Vieles behandeln wir hier gar nicht: Flächen- und Ressourcenverbrauch, Versiegelung, verstopfte Städte – all dies wird auch durch E-Mobile nicht gelöst.“ [4]S.275.

Elektroautos sind zwar deutlich effektiver als Verbrenner. Die Technik hat allerdings den Nachteil, dass sie sehr ressourcenintensiv ist. Zu den benötigten Rohstoffen gehören unter anderem Lithium, Kobalt, Nickel, Graphit, Seltene Erden, Magnesium, Kupfer. Viele der Rohstoffe werden unter fragwürdigen Bedingungen gewonnen. Zum Beispiel Lithium, welches zu einem Drittel in offenen Salzseen in Chile und Argentinien gewonnen wird, unter Verwendung von riesigen Mengen an Wasser, Grundwasser, in ansonsten extrem wasserarmen Gebieten. Oder Bauxit für die Aluminiumproduktion, das in offenen Tagebauen im Amazonasgebiet abgebaut wird.

Zudem übersteigt der rasant wachsende Bedarf die Kapazität der bisher erschlossenen Rohstoffquellen. Die Internationale Energieagentur IEA schrieb noch 2021, dass bis 2030 weltweit rund 130 Mio. E-Autos fahren werden. Inzwischen sind die Prognosezahlen auf 220 Millionen Elektroautos erhöht worden. Der weltweite Bedarf bis 2030 allein für batterieelektrische Autos und leichte Nutzfahrzeuge liegt bei 157 Prozent der Lithium- und 133 Prozent der Kobalt-Weltproduktion. [5]

Eine aus wirtschaftlicher Sicht logische Erweiterung der Bergbaukapazität ist kurzfristig nicht realisierbar, auch weil die meisten Vorhaben mit erheblichen Umweltrisiken behaftet sind, welche von Abnehmern aus der EU schlecht ignoriert werden können.

Mit der wachsenden Rohstoffnachfrage wächst auch das Interesse am Abbau der Rohstoffe am Boden der Ozeane. Es geht vor allem um die sogenannten Manganknollen, die neben Mangan unter anderem auch Kupfer, Nickel und Kobalt enthalten. Allein in der Clarion-Clipperton-Zone, einem Tiefseegraben im Pazifik, sollen 21 Milliarden Tonnen dieser Knollen lagern. Daraus ließen sich etwa 270 Millionen Tonnen Nickel, 230 Millionen Tonnen Kupfer und 50 Millionen Tonnen Kobalt gewinnen. [6] Die Mengen an Kobalt würden ausreichen, um Batterien für 7 Milliarden Teslas zu produzieren. Das klingt nach neuen unendlichen Wachstumsaussichten. Die Branche spricht schon vom Goldrausch.

Noch sind die Technologien nicht ausgereift. Und noch gibt es Widerstände aus ökologischen Gründen. Steigende Nachfrage und Rohstoffpreise verändern aber die Wirtschaftlichkeitsberechnungen und damit das Interesse an entsprechenden Investitionen. Klimaschutzargumente könnten nun benutzt werden, um den Abbau durchzusetzen.

Wir stehen also vor dem Dilemma, dass aus Klimaaspekten der Anstoß für eine Entwicklung des Tiefseebergbaus angestoßen wird, deren Folgen für die Biodiversität der Meere kaum absehbar sind.

Absenkung Ressourcenverbrauch ohne klare Zielvorgabe

Die Umweltbehörde UNEP fordert, den durchschnittlichen Ressourcenverbrauch bis 2050 auf 6-8 Tonnen pro Kopf und Jahr zu reduzieren. [7] Der globale Durchschnitt lag allerdings schon 2015 bei 11 Tonnen. In Deutschland verbrauchen wir 16 Tonnen. Hier haben wir einen konkreten Beleg für den häufig gehörten Satz von den zwei Erden, die unser Lebensstil benötigen würde. Die Autoren des Global Ressource Outlook warnen: Ohne eine Umsteuerung könnte der globale Ressourcenverbrauch bis 2060 um weitere 60 Prozent ansteigen.

Tatsächlich gibt es bisher weder von der deutschen noch von der europäischen Politik irgendeine Zielvorgabe zur Reduzierung des Rohstoffverbrauchs. [8] Eine Zielstellung existiert nur für die Erhöhung der Ressourcenproduktivität. [9] Zwischen 2010 und 2021 stieg zwar die Ressourcenproduktivität um 15 Prozent. Gleichzeitig hat sich die Rohstoffnutzung je Kopf um nur 1 Prozent verringert. Vor Corona, zwischen 2010 und 2019, stieg der Rohstoffbedarf sogar um 10 Prozent.

Mit einer solchen Zielstellung landen wir also wieder beim bekannten Rebound-Effekt: Einsparungen durch Effizienzsteigerung werden durch Mehrverbrauch infolge Wirtschaftswachstums ausgeglichen oder sogar überkompensiert.

Wir haben es hier offensichtlich mit einem blinden Fleck der Umweltpolitik zu tun. Die Verengung auf den CO2-Ausstoß sollte eigentlich längst überwunden sein. Sie macht allerdings die Ratlosigkeit der Politik deutlich. Denn eine Halbierung des Ressourcenverbrauchs dürfte kaum mit dem umweltpolitischen Leitbild von Grünem Wachstum zu bewältigen sein.

Luisa Neubauer erwähnt im „Klima-Atlas“ auch das Modell der planetaren Grenzen von Johan Rockström. [10] Im Kapitel 3 „Ökologischer Wandel“ schreibt sie, dass bereits sechs der neun planetaren Grenzen überschritten worden sind. Der Klimawandel betrifft dabei nur eine der neun definierten Grenzen.

Aus ihren Vorbemerkungen im Kapitel “Wirtschaftlicher Wandel” könnte man schließen, dass sie der Meinung ist, dass Grünes Wachstum besser ist als fossiles Wachstum.

Richtig. Aber die Frage, ob Grünes Wachstum auch die restlichen Defizite löst, wird damit nicht beantwortet. Es wäre besser gewesen, wenn sie das Thema als ungelöst benannt hätte, statt den blinden Fleck zu übermalen.


Quellen:

[1] L. Neubauer, C. Endt und O. Häntzschel, Der Klima-Atlas. 80 Karten für die Welt von morgen, Hamburg: Rowohlt, 2024.
[2] Umweltbundesamt: „Grünes Wachstum“. Online unter https://sns.uba.de/umthes/de/labels/TH_00657344.html.
[3] UNEP, „Global Resources Outlook 2024. Summary for Policymakers: Bend the Trend –Pathways to a liveable planet as Pathways to a liveable planet as,“ United Nations Environment Programme (UNEP), Nairobi, 2024.
[4] S. Plöger, Zieht euch warm an, es wird heiss!, Frankfurt/Main: Westend 2020, 2. Auflage.
[5] C. Budras und T. Piller, „Reichen Rohstoffe für Batterien für die E-Auto-Pläne?,“ Online unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auto-verkehr/elektroautos-rohstoffe-fuer-batterien-werden-nachfrage-uebersteigen-18638896.html.
[6] S. Weiss, „Batterieelektrische Autos sind die Zukunft. Aber müssen wir dafür wirklich Metalle aus dem Ozean holen?,“ Online unter https://www.nzz.ch/mobilitaet/batteriebetriebene-elektroautos-sind-die-zukunft-aber-muessen-wir-dafuer-wirklich-metalle-aus-dem-ozean-holen-ld.1631132.
[7] UNEP, „MANAGING AND CONSERVING THE NATURAL RESOURCE BASE FOR SUSTAINED ECONOMIC AND SOCIAL DEVELOPMENT,“ UNEP International Resource Panel, 2014.
[8] Umweltbundesamt, „Indikator: Rohstoff-Fußabdruck“. Online unter https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-rohstoffkonsum#die-wichtigsten-fakten.
[9] Umweltbundesamt, „Indikator: Gesamtrohstoffproduktivität“. Online unter https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-gesamtrohstoffproduktivitaet#die-wichtigsten-fakten.
[10] Wikipedia, „Planetare Grenzen,“ [Online]. Online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen.