(aktualisiert 18.01.2024)
Die Denkfabrik Agora Energiewende hat eine Studie mit einem Konzept zum Übergang vom nationalen zum EU-Emissionshandel vorgelegt. Deutlich wird, dass das Instrument erhebliche Fehlstellen aufweist, die eine grundsätzliche Diskussion erforderlich machen. Schon, weil die möglichen Folgen von drastischen Preissteigerungen einerseits oder andererseits einem zu niedrigen Preisdeckel kaum zu unterschätzen sind. Auch deshalb, weil das jetzige Konzept kaum tauglich ist als Beispiel für wirtschaftlich schwächere (und administrativ schlechter aufgestellte) Länder und Regionen. Nachfolgend ein Diskussionpapier dazu.
Kritische Fragen auf Grundlage der Agora-Studie
- Unklare Preisentwicklung ab 2027. Spannbreite laut Studien zwischen 48 und 300 Euro/t CO2. (S. 7) Große Unsicherheit und fehlende Planungssicherheit bei Verbrauchern und Wirtschaft. Vereinbarter Preisdeckel von 45 Euro/t nach Aussagen von Klimaökonomen kaum zu halten, Preisdeckel wäre klimapolitisch auch absolut negativ. Frankreich u.a. Mitgliedstaaten (MS) haben sich allerdings auf diesen Deckel politisch festgelegt.
- Ungleiche Belastungen in den Mitgliedstaaten durch EU-weit einheitlichen CO2-Preis. Dementsprechend sehr unterschiedliche Lenkungswirkung erwartet, vor allem in den ärmeren MS. (S. 19) Gefahr Anstieg Energiearmut und politische Widerstände in ärmeren MS. Wirkung in reicheren Staaten mit deutlich höheren Emissionen dagegen geringer.
Beispiel Straßenverkehr: Anteil Emissionen Bereich ETS 2 = 57 Prozent. (S. 14) Kaum kurzfristig durch Ordnungsrecht und Subventionen reduzierbar. Investitionen in ÖPNV nur längerfristig wirksam. Lenkungswirkung Preis sehr unterschiedlich, je nach durchschnittlicher Kaufkraft je Haushalt (EU-Durchschnitt 16.300 Euro, Deutschland 25.000, Rumänien 8.000). (S. 22) Was in Frankreich für Proteste sorgen könnte, ähnlich in ärmeren Staaten wie Bulgarien oder Rumänien, hat in Deutschland (mit sehr viel mehr Autoverkehr) kaum Lenkungswirkung. - Ungleiche Verteilung der europaweiten Einnahmen. Nach Finanzierung Klimafonds, der auf 65 Mrd. Euro gedeckelt ist, werden die restlichen Einnahmen gemäß historischen Emissionen (2016-2018) verteilt. Bei 50 Euro/t liegt dieser Anteil bei 75 Prozent, bei 200 Euro/t schon bei 94 Prozent. Anteil Deutschlands bei historischen Emissionen fast ein Viertel der Einnahmen. Bei Verteilung pro Kopf wären es nur 16 Prozent.
Zum Vergleich der Anteil der Gesamteinnahmen je Land und Person, bei einem Preis von 50 und 150 Euro/t (Tabelle 1 und 2 siehe Anhang Agora-Studie)50 €/t 150 €/t Deutschland 646,7 2.160,3 Luxemburg 1.857,4 6.417,2 Polen 739,3 1.875,4 Rumänien 583,8 1.280,0 - Direktzahlungen zeitlich befristet und von der Höhe begrenzt. Natürlich sind die geplanten Investitionshilfen für vulnerable Gruppen und benachteiligte Kleinstunternehmen absolut notwendig. Tatsächlich ist die Umstellung auf klimafreundliche Alternativen aber eine längerfristige Aufgabe. Deutlich steigende CO2-Preise schon ab 2027 werden alle Bürger treffen, bis weit in die Mittelschicht. Ohne Klimageld dürften drastisch steigende CO2-Preise kaum durchsetzbar sein.
- Wasserbetteffekt: Zusätzliche Bemühungen um Klimaschutz durch Personen, Kommunen oder MS haben keinen Einfluss auf das Emissionsbudget, sie senken nur die CO2-Kosten für alle. Eine Minderung des preissenkenden Effekts könnte durch Einführung von Mindestpreisen erreicht werden. Dann sinkt der Preis infolge Verhaltensänderungen nur bis zum Mindestpreis, z.B. von 120 auf 100 Euro. Die Gesamtmenge der Emissionen bleibt allerdings unverändert. Zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen würden damit entwertet.
- Hoher bürokratischer Aufwand. Die MS werden verpflichtet, sogenannte Klima-Sozialpläne zu erstellen, die „aus einem in sich stimmigen Paket bestehender oder neuer nationaler Maßnahmen und Investitionen, um den Auswirkungen der CO2-Bepreisung auf [die besonders betroffenen Gruppen] zu begegnen,“ (S. 25) bestehen. Das gilt für sämtliche Einnahmen aus dem ETS 2. Der Schwerpunkt auf kleinteilige Regelung und Subventionen erfordert entsprechend hohen bürokratischen Aufwand, um Missbrauch und Mitnahmeeffekte zu verhindern. Erfahrungen in der Vergangenheit zeigen, dass viele Fördertöpfe genau deshalb nicht ausgeschöpft werden konnten.
- Der ETS 2 ist kaum geeignet als Beispiel für wirtschaftlich schwächere (und administrativ weniger gut aufgestellte) Staaten und Regionen. Das war aber ein erklärtes Ziel der EU-Klimapolitik. Zu groß sind die Komplexität, die Unsicherheit über die Preisentwicklung, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen samt möglichen politischen Unwägbarkeiten.
Vorschläge lt. Studie zur Lösung oder Abschwächung der genannten Probleme
Zu Punkt 1 Unklare Preisentwicklung ab 2017:
- In Deutschland: Deutliche Anhebung der CO2-Preise vor 2027. Vorziehen des Emissionshandel ab 1.1.26 auf nationaler Ebene mit Preiskorridor aus Mindest- und Höchstpreis.(S. 30 ff.)
- auf EU-Ebene: Begrenzung nach oben über Frontloading (30 Prozent mehr Zertifikate für 2027) und Marktstabilitätsreserve (MSR). (S. 15 f.) Jedoch: „Die angelegten preisdämpfenden Mechanismen sind wie oben beschrieben in ihrer Wirkung begrenzt – zumal sie anderenfalls die Zielsicherheit und damit den großen Vorteil eines Emissionshandelssystems abschwächen würden.“ (S. 17, FN 25)
- Reduzierung der CO2-Preise über zusätzliche nationale Klimaschutzmaßnahmen (Ordnungsrecht, Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen). Dieses hängt jedoch vor allem von den Staaten mit hohen Emissionen ab (D, F + I mehr als die Hälfte der Emissionen).
Zu Punkt 3: Ungleiche Verteilung der Einnahmen
Die in der Studie kritisierte ungleiche Verteilung der Einnahmen beim EU-ETS 2 entspricht den ungleichen Einnahmen bei einem CO2-Steuer-Modell auf nationaler Ebene (siehe unten). Deutschland nimmt bei nationaler Besteuerung entsprechend seinen aktuellen Emissionen tatsächlich deutlich mehr ein als ärmere Staaten mit weniger Emissionen. Dem stehen größere Aufwendungen zur Reduzierung der Emissionen gegenüber. Die Einnahmen sollen genutzt werden, um Investitionen in Klimaschutz anzuschieben oder die Haushalte über Direktzahlungen zu unterstützen. Insofern ist die Verteilung gemäß den nationalen Emissionen sinnvoll, sofern über den Klima-Sozial-Fonds eine begrenzte Umverteilung der Einnahmen erfolgt. Letzteres ist notwendig, weil ärmere MS weitaus weniger Mittel haben, um klimafreundliche Investitionen mit Subventionen zu unterstützen. Dieser Aspekt muss auch bei der Variante „nationale CO2-Steuer“ berücksichtigt werden. (siehe unten)
Aus diesen Gründen werden Vorschläge in der Studie zur Änderung bei der Verteilung der Einnahmen hier nicht erwähnt.
Anmerkungen
Beim CO2-Preis stehen im Moment zwei sehr gegensätzliche Varianten im Raum:
Variante 1: der vereinbarte Preisdeckel von 45 Euro/Tonne CO2. Hier würde das Prinzip: „Der Schwächste bestimmt das Tempo“ gelten. Damit müssten die Klimaziele weit stärker über Ordnungsrecht und Subventionen erreicht werden, was ähnlich wie beim deutschen GEG sehr viel mehr Feinsteuerung bedeuten und vor allem deutlich teurer werden würde. (Siehe ETH-Studie: Förderung bis zu 5mal teurer als Lenkung)
Variante 2: Der freie Handel mit CO2-Zertifikaten EU-weit. Hohe CO2-Preise würden auch in reicheren Ländern Wirkung zeigen, weitaus stärker allerdings in den ärmeren MS. Hier gilt eher das Prinzip „Der Stärkste bestimmt das Tempo“.
Zwischenfazit
Die Analyse der Studie zeigt, dass das Instrument erhebliche Fehlstellen aufweist. Die Vorschläge zur Beseitigung der genannten Kritikpunkte betreffen nur die Preisentwicklung, der Rest bleibt ungeklärt. Dabei bleibt unsicher, wie wirkungsvoll diese Maßnahmen sind. Wir können es uns nicht leisten, dass die Klimapolitik der EU zum Auslöser politischer Turbulenzen ähnlich wie beim Gebäudeenergiegesetz (GEG) in Deutschland wird. Zumal die ungeklärten Probleme die Gefahr bergen, dass populistische und EU-kritische Parteien gestärkt werden, was die Klimapolitik der EU insgesamt schwächen würde. Klar dürfte sein, dass ein Umsteuern in der Krise zu spät kommen würde. Insofern sollten mögliche Alternativen schon jetzt geprüft werden.
Zwei mögliche Alternative
Vorschlag 1 (im Rahmen des EU-ETS 2)
Da die Einnahmen aus dem KSF für Subventionen speziell bei vulnerablen Gruppen eingesetzt werden sollen, könnten die Einnahmen gemäß historischen Emissionen (der größte Teil der Einnahmen, zwischen 75 Prozent bei einem Preis von 50 Euro/t CO2 und 94 Prozent bei einem Preis von 200 Euro/t) mehrheitlich zur Auszahlung eines Klimageldes verwendet werden. Durch das Klimageld könnten die durchschnittlichen Mehrkosten für die breite Bevölkerung ausgeglichen werden, vor allem für die unteren Einkommen. Der Rest der Einnahmen (z.B. ein Drittel) könnte zur Unterstützung von klimafreundlichen Investitionen vorrangig für vulnerable Gruppen verwendet werden.
Vorteil gegenüber aktuellem Modell des EU-ETS 2: Klimageld führt je nach Ausgestaltung zum Ausgleich der (durchschnittlichen) finanziellen Mehrbelastung, zumindest für die unteren Einkommensgruppen. Klimageld ermöglicht damit prinzipiell auch höhere CO2-Preise.
Nachteil: Die Gefahr eines eventuell drastischen Anstiegs des CO2-Preises bleibt bestehen, ebenso die zwischen den Mitgliedstaaten sehr ungleiche Belastung durch den CO2-Preis. Mit der Gefahr politischer Konflikte einerseits oder der Aufweichung der Klimaziele über einen EU-weiten Preisdeckel oder kontraproduktive Maßnahmen auf nationaler Ebene andererseits.
Vorschlag 2: CO2-Steuer-Modell auf nationaler Ebene
- Von Seiten der EU werden nur verbindliche Minderungsziele vorgegeben. Auf nationaler Ebene könnte dann eine CO2-Steuer mit entsprechendem Steigerungspfad installiert werden, der je nach Erreichung der Klimaziele nachjustiert wird (damit kann auch der Nachteil der CO2-Steuer, die fehlende Mengenbegrenzung, ausgeglichen werden.)
- Ein Teil der Einnahmen wird analog der geltenden Vereinbarung beim EU-ETS 2 zur Einrichtung entsprechender EU-weiter Fonds (vor allem Klima- und Sozialfonds) verwendet.
- Alle weiteren Einnahmen werden mehrheitlich als Klimageld pro Kopf zurückgezahlt (bzw. je T€ Personalkosten für Unternehmen, siehe Schweiz), der kleinere Teil wird für Subventionen vor allem bei vulnerablen Gruppen eingesetzt werden. (Besserverdienende, Eigentümer von Häusern in bester Lage, Tesla-Fahrer etc. brauchen keine Förderung.). Rückzahlung Mehrkosten auch an die Wirtschaft nach Vorbild der Schweiz sinnvoll, um Anheizung der Inflation (über Abwälzung der Mehrkosten an die Konsumenten) zu vermeiden.
- Deutschland hätte entsprechend der höheren Einkommen deutlich höhere Steuersätze. Dafür könnten die Steuersätze in ärmeren Ländern deutlich niedriger gewählt werden.
- Damit bestünde sowohl Klarheit und Planungssicherheit als auch Sozial- und Wirtschaftsverträglichkeit für Verbraucher und Wirtschaft. Ein solches Konzept wäre sehr viel einfacher umzusetzen und zu kommunizieren als das jetzige Modell. Damit könnte endlich Verständnis und Ruhe einziehen bei diesem Thema, die Gefahr rechtsextremer und EU-kritischer Entwicklungen wäre vermutlich sehr viel geringer.
Ein solches Modell wäre auch eher geeignet als Beispiel für wirtschaftlich schwächere (und administrativ weniger gut aufgestellte) Staaten und Regionen.
Quellen:
Agora Energiewende und Agora Verkehrswende: Der CO2-Preis für Gebäude und Verkehr. Ein Konzept für den Übergang vom nationalen zum EU-Emissionshandel (Berlin, Oktober 2023)
DIW Berlin: Politikberatung kompakt 140: St. Bach et al.: CO2-Bepreisung im Wärme- und Verkehrssektor: Diskussion von Wirkungen und alternativen Entlastungsoptionen
https://www.bafu.admin.ch/co2-abgabe
Gerhard Hübener: Schweizer CO2-Preis-Modell für Übergangsphase. https://www.klimareporter.de/deutschland/schweizer-co2-preis-modell-fuer-uebergangsphase
Gerhard Hübener: Der Wasserbetteffekt. https://taz.de/Emissionshandel-in-der-EU/!5962570/