Klimaökonom Michael Pahle zur Kritik am EU-ETS 2 im Artikel “Der Wasserbett-Effekt”

Von | November 5, 2023
(05.11.2023)
Ich hatte den Artikel “Der Wasserbett-Effekt” an einige Klimaökonomen vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) geschickt. Nachfolgend eine Antwortmail von Dr. Michael Pahle vom PIK und meine Antwort an ihn. 
Am 24.10.2023 um 18:35 schrieb Michael Pahle:
Lieber Herr Hübener,
vielen Dank für den Hinweis auf Ihren Gastkommentar. Hier ein paar kurze Antworten auf Ihre Fragen (für ganz ausführliche fehlt leider die Zeit):
  • Die 45 EUR/t sind kein fester Deckel, sonder ein Preisdämpfungsmechanismus, der bei 45 EUR/t einsetzt, aber aufgrund der geringen Menge wohl kaum Wirkung zeigen wird. Das kommt ja auch (u.a. mit der Einschätzung von mir) in dem Euractiv Artikel zu Sprache, auf den sie verlinken.
  •  Zu Subvention/Investition vs. Direktzahlung, wozu Sie schreiben: “Der Schwerpunkt bei diesem Fonds liegt allerdings wieder, ähnlich wie derzeit in Deutschland, bei den Subventionen. Zwar sind diese verstärkt für finan­ziell schwache Gruppen vorgesehen. Direktzahlungen wie ein Klimageld sind aber nur begrenzt für besonders betroffene Gruppen, und das auch nur übergangsweise, gestattet.” Was halten Sie hier für problematisch? Die Idee ist, möglichst nur temporär zu kompensieren, und besser auf Investition zu setzen, die aus der Vulnerabilität “heraus führen”. Siehe auch den Artikel im Anhang dazu.
  • Wasserbetteffekt: Das kann man so oder so sehen. Er konterkariert die Zusätzlichkeit unilateraler Maßnahmen, aber senkt eben auch den Preis für alle. Außerdem kann er adressiert werden, vgl. deutscher Kohleausstieg (auch wenn die Umsetzung noch hängt).
Und noch eine Frage zurück: Was glauben Sie, wie hoch eine CO2-Steuer in der EU wäre, wenn man versuchte Sie einzuführen? Oder anders gesagt: glauben sie die EU funktioniert wie die Schweiz?
Viele Grüße
Michael Pahle

Am 31.10.2023 um 15:46 schrieb Gerhard Hübener:

Lieber Herr Pahle,

danke für Ihre Mail. Nachfolgend meine Antwort dazu. Es hat es etwas gedauert, weil ich erstmal die Agora-Studie zum ETS 2 lesen wollte.

  • Zu den 45 Euro/t. Sie beschreiben es korrekt. Die Frage ist allerdings, ob die politischen Implikationen damit beantwortet sind. In der Agora-Studie heißt es: In einem europaweiten Emissionshandelssystem wird dies stärker in den ärmeren Mitgliedsstaaten stattfinden, da dort die Preissteigerung im Vergleich zum Einkommen deutlich höher ausfallen wird. Damit werden die Emissionen dort stärker und in Deutschland weniger stark als im EU-Durchschnitt sinken.“ (S. 19)
  • Diese Konstellation erscheint doch sehr fragwürdig: dass der CO2-Preis seine Lenkungswirkung vorrangig in ärmeren Staaten mit deutlich weniger Emissionen entfalten soll statt in den reicheren Staaten, in denen der Großteil der Emissionen erfolgt (Deutschland, Frankreich und Italien zusammen mehr als die Hälfte der EU-Emissionen).
  • Ob die vorgesehenen Maßnahmen (Frontloading und Marktstabilitätsreserve) ausreichen werden, um den CO2-Preis für diese Staaten sozialverträglich zu halten, ist laut Studie unsicher. Die Gefahr, dass es zu Protesten aufgrund drastisch steigender Energiepreise kommt (die mit dem o.g. Deckel verhindert werden sollten) dürfte kaum ausgeräumt sein. Die Parteien am rechten und linken Rand warten nur auf so ein Thema. Maßnahmen wie Preisdeckel, Entfernungspauschale etc. könnten die Wirkung der CO2-Preise aushebeln.
  • Zur Frage Subvention/Investition vs. Klimageld: Natürlich sind Investitionshilfen gerade für vulnerable Gruppen absolut notwendig. Nur wissen wir doch: Fördergelder wirken nur punktuell dort, wo gefördert wird. Mit sehr viel bürokratischem Aufwand. Während der CO2-Preis alle energierelevanten Fragen direkt beeinflusst. Niedriger CO2-Preis = niedrige Lenkungswirkung = hoher Förderbedarf und umgekehrt. Es dürfte klar sein, dass der Umstieg auf klimafreundlichen Verkehr und Heizung/Dämmung nicht in wenigen Jahren zu leisten ist. Ein deutlich steigender CO2-Preis wird deshalb alle Bürger treffen, bis weit in die Mittelschicht. Das kann nur aufgefangen werden durch ein Klimageld für alle.
  • Zum Wasserbetteffekt: Die Wirkung von Verhaltensänderungen einzelner Gruppen führt zur Preissenkung für andere. Die freuen sich und die Gesamtemissionen bleiben gleich. Insofern stimmt, was Warmbach sagt: Individueller Klimaschutz wird damit sinnlos. Ich sehe nicht, wie dieser Effekt ausgeräumt werden könnte. Schon beim Kohleausstieg hat es selbst mit einem grünen Klimaminister nicht geklappt. Beim ETS 2 dürfte es sehr viel unklarer sein. Der einzige Weg, der den Effekt mindern könnte, ist die Einführung von Mindestpreisen. Dann sinkt der Preis infolge Verhaltensänderungen eben nicht ins Bodenlose, sondern nur bis zum Mindestpreis. Z.B. von 120 auf 100 Euro. Die Emissionsmenge bleibt jedenfalls bestehen. Damit reduziert sich allerdings der Einfluss des Bürgers auf den Gang zur Wahlurne.
  • Zur letzten Frage: Die Alternative wäre eben nicht eine einheitliche Energiesteuer für die ganze EU. Dann hätten wir ja wieder das Problem, dass der Schwächste das Tempo bestimmt. Die Alternative wäre viel einfacher: Von Seiten der EU werden nur die Minderungsziele vorgegeben. Auf nationaler Ebene würde dann eine CO2-Steuer mit entsprechendem Steigerungspfad installiert werden, der je nach Erreichung der Klimaziele nachjustiert wird (damit kann auch der Nachteil der CO2-Steuer, die fehlende Mengenbegrenzung, ausgeglichen werden.) Damit bestünde sowohl Klarheit und Planungssicherheit als auch Sozial- und Wirtschaftsverträglichkeit für Verbraucher und Wirtschaft. Die Rückzahlung von z.B. zwei Drittel der Einnahmen pro Kopf (bzw. je T€ Personalkosten für Unternehmen, siehe Schweiz) würde für den notwendigen sozialen (und wirtschaftlichen) Ausgleich sorgen, das restliche Drittel würde für Subventionen vor allem bei vulnerablen Gruppen eingesetzt werden. (Eigentümer von Häusern in bester Lage wie Tesla-Fahrer etc. brauchen keine Förderung.)
  • Deutschland hätte entsprechend der höheren Einkommen deutlich höhere Steuersätze. Dafür wären die Steuersätze in Rumänien vermutlich deutlich niedriger. Ein solches Konzept wäre deutlich einfacher zu kommunizieren als das jetzige Modell. Damit könnte endlich Verständnis und Ruhe einziehen bei diesem Thema. Alle wären vermutlich zufriedener und die Gefahr rechtsextremer Entwicklungen sehr viel geringer. (Die Europa-Wahlen im nächsten Jahr könnten einen Vorgeschmack liefern.)
  • Nebenbei: Das EU-ETS 2 ist in seiner Komplexität, Planungsunsicherheit, Bürokratie und sozialen Unstimmigkeiten kaum geeignet als Beispiel für wirtschaftlich schwächere (und administrativ weniger gut aufgestellte) Staaten und Regionen. Genau das war aber ein nicht zu vergessenes Ziel der Klimapolitik der EU.

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P.S.: Nach dem Lesen der Agora-Studie ergeben sich weitere offene Fragen. Wenn Sie Interesse haben, kann ich Ihnen gern meine Anmerkungen dazu schreiben.

Mit besten Grüßen
Gerhard Hübener