Der Wasserbett-Effekt

Von | Oktober 13, 2023

(Oktober 2023)

Das Umweltbundesamt hofft, dass mit dem Start des EU- Emissionshandels für Gebäude und Verkehr ab 2027 eine „klimapolitische Zeitenwende“ kommt. Dagegen steht eine sehr niedrige Preisobergrenze, eine Fokussierung auf Subventionen sowie ein Effekt, der klimabewusstes Verhalten sinnlos machen könnte.

Im Dezember 2022 knallten die Sektkorken bei den Befürwortern des neuen Emissionshandels für Gebäude, Straßenverkehr und kleinere Industrieunternehmen, ETS 2 genannt. Nach dem Durchbruch beim Emissionshandel für Stromerzeugung und Großindustrie würde mit dem ETS 2 der CO2-Preis endgültig ins Zentrum der Klimapolitik gerückt werden.

Ein Punkt sticht allerdings sofort ins Auge: Laut Vereinbarung soll der neue CO2-Preis bei maximal 45 Euro pro Tonne gedeckelt werden. Das wären Mehrkosten von 10 Cent pro Liter Benzin. Eine Lenkungswirkung ist davon kaum zu erwarten. Schon 2026 soll der CO2-Preis in Deutschland zwischen 55 und 65 Euro liegen. Auch das nach Meinung der Klimaökonomen viel zu niedrig.

Zwar steht die Einigung zum Höchstpreis nur im unverbindlichen Teil der Gesetzgebung, den sogenannten Erwägungsgründen, nur war diese Festlegung ein wichtiger Punkt bei der Einigung zum ETS2. Selbst Michael Bloss, Verhandlungsführer der grünen Fraktion, versuchte Zweifel an der Vereinbarung zu zerstreuen. Der Preis würde für 5 Jahre bis 2032 begrenzt bleiben, erklärte er noch im April.

Und der französische Präsident Macron hat mehrfach erklärt, er würde den Preis auf 45 Euro deckeln.  Ein Abrücken von seinem Versprechen vor der Präsidentschaftswahl 2027 wäre eine Steilvorlage für Parteien von rechts- wie linksaußen. Das klingt eher nach Stagnation statt nach Zeitenwende.

Nach Ansicht von Klimaökonomen ist eine solche Preisobergrenze aber kaum zu halten. Grundlage des ETS 2 sind klar festgelegte Obergrenzen für Emissionsmengen. Die Preise für Zertifikate sind Knappheitspreise. Wenn der CO2-Ausstoß nicht deutlich sinkt, wird der Preis je Tonne CO2 entsprechend steigen.

Der Mechanismus zur Stabilisierung des Preises sieht zwar vor, dass im Bedarfsfall zusätzliche Zertifikate freigegeben würden. Die vorgesehene Menge an Zertifikaten liegt allerdings bei nur zwei Prozent der erwarteten Emissionen. Dies wird den Preisanstieg kaum begrenzen können, wenn der CO2-Ausstoß zu wenig sinkt und damit der Preisdruck steigt.

Das Beispiel der Preisobergrenze zeigt die Grundproblematik eines europaweit einheitlichen Emissionshandels. Ein Preis, der in Osteuropa oder Frankreich soziale Proteste auslösen könnte, wird in Staaten wie Deutschland kaum Wirkung zeigen. Mindest- oder Obergrenzen, die nicht national, sondern EU-weit festgelegt werden, müssen sich aus sozialen wie wirtschaftlichen Gründen am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren. Damit wird das Tempo durch die schwächsten Länder bestimmt.

Zentrale Fehlstelle: Subventionen vor Klimageld

Die Gas- und Energiekrise im letzten Winter hat deutlich gemacht, dass auch in Europa die Etablierung eines wirksamen CO2-Preises von den sozialen Rahmenbedingungen abhängt. Aus diesem Grund ist auch ein Klima- und Sozialfonds auf EU-Ebene beschlossen worden.

Der Schwerpunkt bei diesem Fonds liegt allerdings wieder, ähnlich wie derzeit in Deutschland, bei den Subventionen. Zwar sind diese verstärkt für sozial schwache Gruppen vorgesehen. Direktzahlungen wie ein Klimageld sind aber nur begrenzt für vulnerable Gruppen und das auch nur übergangsweise gestattet.

Die flächendeckende Modernisierung von Heizsystemen und Gebäudedämmung wie auch die Ablösung des Verbrennermotors kann aber nur mittelfristig umgesetzt werden. Der Anstieg der CO2-Preise im ETS 2 könnte aber zu Energiepreisen wie im Winter 2022 führen und wird dann alle Bevölkerungsschichten treffen.

Ohne Klimageld drohen damit politische Turbulenzen mit der Folge, dass Marktmechanismen aufgeweicht und die üblichen kontraproduktiven Instrumenten Preisdeckel und Entfernungspauschale eingesetzt werden.

Ungeklärter Wasserbetteffekt

Am Schluss eines Webinars zum Thema „Klima-Update & Klima-Geld. Wo steht die deutsche Klimapolitik nach der Sommerpause?“ mit der Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Klimainstituts MCC Berlin, wurde die Frage der ganz persönlichen Aktivitäten für den Klimaschutz hervorgehoben. Dass Menschen etwas tun, sich selbst einbringen wollen. Dass dies ein absolut wichtiger Aspekt wäre, um die Menschen stärker für Klimathemen zu begeistern.

Dagegen steht allerdings der sogenannte Wasserbetteffekt. Der Ökonom Achim Warmbach, seit 2006 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, antwortet auf die Frage, ob man dem Klima helfe, wenn man Ökostrom kaufe, auf den Wochenendflug nach Barcelona verzichte oder sich eine Solaranlage aufs Dach baue, mit einem dreifachen Nein.

Diese Beispiele stammen zwar nicht aus dem Gebäude- oder Verkehrssektor, die Analogie mit dem Wasserbett ist aber gleich. Wenn ich das Bett an einer Stelle eindrücke, beult es an einer anderen Stelle aus. Die Wassermenge bleibt unverändert.

Mit dem Emissionshandel ist die Menge an Emissionen und damit die Menge der versteigerten Zertifikate festgelegt. Individuelle Einsparungen bei Verkehr oder Gebäudeheizung ändern nichts an der Gesamtmenge der CO2-Emissionen. Weniger Verbrauch führt zu einem Absenken der in Kraftstoff- oder Heizkosten enthaltenen CO2-Preise (bis zum Mindestpreis, so vorhanden) oder zum EU-weiten Verkauf der überzähligen Zertifikate und damit zur Verlagerung von Emissionen.

Für die Bürger wäre klimabewusstes Verhalten damit sinnlos. Der Aufruf zu umweltbewusstem Verhalten könnte entfallen. Wir müssten uns zurücklehnen und die Entscheidung über Emissionsobergrenzen der Politik überlassen. Eine absurde Umkehrung der Verhältnisse.

Schweizer CO2-Preis-Modell mindestens für Übergangsphase

Die Frage, ob wesentliche Veränderungen am mühsam ausgehandelten Kompromiss denkbar wären, ist berechtigt. Nur – das Klima nimmt auf solche Fragen keine Rücksicht. Nebenbei geht es selbst nach Aussagen der EU um ein Modell, welches attraktiv auch für andere Regionen sein könnte. Weil genau das bisher fehlt. Dafür weist das Konzept allerdings zu viele Fehlstellen auf. Die hier genannten sind nur die gravierendsten.

Es gibt eine einfache und erprobte Alternative: das in der Schweiz seit 2008 praktizierte Modell von CO2-Steuer und Klimageld. Der Großteil der Einnahmen (dort zwei Drittel) wird per Klimageld zurückgezahlt. Der Rest wird für klimafreundliche Subventionen eingesetzt.

Die Schweizer sind so zufrieden damit, dass sie es mehrfach per Volksabstimmungen bestätigt haben. Ihr CO2-Preis liegt inzwischen übrigens bei 120 Euro pro Tonne.

(Erstveröffentlichung 12.10.2023 auf taz.de)

Anmerkung: Im taz-Artikel sind aus redaktionellen Gründen diverse Textstellen (Teaser, Zwischenüberschriften und einzelne Sätze) verändert worden. Hier der Originaltext.