Schweizer CO₂-Preis-Modell für Übergangsphase

Von | August 10, 2023

(August 2023)

Die Klimapolitik steckt in einem tiefen Dilemma zwischen einem wirksamen CO2-Preis, dessen Entwicklung aber unklar ist und Ängste weckt, und einer teuren Förderstrategie, die das geplante Klimageld verhindert. Doch es gäbe eine Alternative.

Die Ampelregierung plant, den CO2-Preis zum Jahreswechsel auf 40 statt 35 Euro pro Tonne zu erhöhen. Viel zu wenig, sagen Klimaökonomen wie Ottmar Edenhofer vom Klimainstitut MCC. Der Preis müsse 2030 schon bei 275 Euro und 2035 bei 340 Euro liegen, um klimafreundliche Investitionen wirtschaftlich sinnvoll zu machen.

Die FDP stellte sich deshalb kurzzeitig hinter den Vorschlag von Klimainstituten und Ökonomen, den für 2027 geplanten Emissionshandel im Bereich Gebäude und Verkehr auf den kommenden Januar vorzuziehen.

Das Modell hat allerdings einen Nachteil, den selbst die marktliberale FDP nicht mittragen wollte. Denn, wie Matthias Kalkuhl vom MCC schreibt, „die Unsicherheit bei zukünftigen CO2-Preisen stellt Haushalte vor große Probleme. Wenn wir Ökonom:innen noch nicht einmal wissen, wie hoch die CO2-Preise sein werden, wie sollen da normale Bürger:innen wirtschaftlich sinnvoll investieren?“

Für die Politik ist diese Unsicherheit zumindest in der Anlaufphase des Emissionshandels ein schwer kalkulierbares Risiko. Zu groß ist die Angst vor Protesten wie von den Gelbwesten in Frankreich oder einem weiteren Erstarken der AfD.

Fördermaßnahmen kannibalisieren das Klimageld

Klimaforscher wie Sozialverbände weisen auf die Notwendigkeit eines sozialen Ausgleichs hin. Mit dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Klimageld könnte das Gros der CO2-Preis-Einnahmen rückverteilt werden, wovon besonders Geringverdiener profitieren würden.

Steigende CO2-Preise würden zusätzliche Einnahmen generieren, die für soziale Härtefälle und entsprechende Anschubfinanzierungen genutzt werden könnten.

Im Übrigen weisen Klimaökonomen darauf hin, dass die notwendigen CO2-Preise geringer ausfallen würden, wenn sie durch Fördermaßnahmen und ordnungspolitische Vorgaben begleitet werden.

Diese an sich richtige These führt allerdings in eine Sackgasse, wenn die Fördergelder aus dem gleichen Topf kommen wie die Zahlungen für das soziale Klimageld, wie es derzeit mit dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) der Fall ist.

Wegen des niedrigen CO2-Preises ist das Budget des Fonds begrenzt, gleichzeitig steigt der Förderbedarf, um – bei fehlendem Anreiz durch den CO2-Preis – Motivation für klimafreundliche Investitionen zu schaffen.

Das führt zu der jetzigen Situation, dass inzwischen alle Gelder für Fördermaßnahmen verplant und keine Mittel zur Auszahlung eines Klimageldes vorhanden sind – was wiederum die Möglichkeit zur Anhebung des CO2-Preises stark begrenzt. Ein Teufelskreis.

Lenkung fünfmal günstiger als Förderung

Klar ist, dass die finanziellen Mittel selbst im wirtschaftlich starken Deutschland begrenzt sind. Das gilt erst recht für ärmere Staaten in Europa oder dem Rest der Welt, wo das Geld für aufwendige Subventionen fehlt und drastisch steigende Benzin- und Energiepreise ein Horrorszenario darstellen, das Ängste vor Aufständen und politisch instabilen Verhältnissen weckt.

Forscher der ETH Zürich haben in einer Studie untersucht, wie hoch die gesamtgesellschaftlichen Kosten der zwei grundsätzlichen Varianten Lenkung (über den CO2-Preis) oder Förderung (über Subventionen) wären.

Das Ergebnis war eindeutig. Um die Klima- und Energieziele der Schweiz bis 2035 ausschließlich per Fördergelder zu erreichen, wären die Kosten mehr als fünfmal so hoch wie bei der Lenkung über eine CO2-Abgabe.

Die Ursache für diesen gewaltigen Unterschied: Die Förderung wirkt nur dort, wo gefördert wird, während die Lenkung über den Preis auf jede energierelevante Entscheidung von Haushalten und Unternehmen Einfluss nimmt. Fazit der Studie: „Die auf der ganzen Breite wirkende Lenkung führt daher zu deutlich tieferen Gesamtkosten als die punktuelle Förderung.“

Schweizer Modell als vorläufige Alternative

Die Frage ist, wie wir aus dem jetzigen Dilemma herauskommen können.

Es gibt eine erprobte Alternative: das in der Schweiz seit 2008 praktizierte Modell von CO2-Abgabe und Klimageld. Der CO2-Preis könnte nach diesem Modell bis 2027 oder 2030 schrittweise angehoben werden, entweder bis zu einer Höhe, die der notwendigen Lenkungswirkung zum Erreichen der Klimaziele entspricht, oder auf die Höhe der mit dem Emissionshandel zu erwartenden CO2-Preise.

Der Großteil der Einnahmen – in der Schweiz sind es zwei Drittel – würde per Klimageld zurückgezahlt werden. Der Rest könnte für klimafreundliche Subventionen eingesetzt werden.

Die Schweizer sind so zufrieden mit ihrem Modell, dass sie es mehrfach per Volksabstimmung bestätigt haben. Wir könnten eine solche schrittweise Anhebung des CO2-Preises (deutlich stärker als bisher) für eine Übergangsphase bis mindestens 2027 übernehmen.

Ein zweiter aufzulösender Knoten betrifft allerdings das Förderkonzept. Um die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung tatsächlich für das Klimageld nutzen zu können, muss das jetzige Konzept komplett geändert werden.

Wie das MCC vorschlägt, könnten Investitionen für öffentliche Daseinsfürsorge, ÖPNV, Ladeinfrastruktur und Ähnliches aus dem regulären Haushalt finanziert werden.

Die Förderung der energetischen Sanierung könnte dagegen über sozial gestaffelte KfW-Kredite abgewickelt werden. Im Übrigen sollten Fördergelder stärker auf die wirklich bedürftigen Haushalte konzentriert werden. Tesla-Fahrer brauchen ebenso wenig Subventionen wie die Besitzer von Häusern in bester Lage.

Ein der KfW-Förderung ähnliches Finanzierungskonzept wird derzeit in der Schweiz getestet. Über ein Bürgschaftsmodell fließen Gelder von Versicherungen, Pensionskassen und Banken zu den Hauseigentümern. Im Unterschied zu üblichen Krediten laufen diese Darlehen über die gesamte Zeit der Investition. Der Staat übernimmt dabei das Ausfallrisiko, das durch die deutlich längeren Laufzeiten der Darlehen entsteht.

Ergänzung 10.08.2023: Die Bundesregierung hat am 09.08.23 beschlossen, den CO2-Preis ab 1. Januar 2024 auf 40 Euro pro Tonne statt auf 45 Euro, wie ursprünglich diskutiert (und in der ursprünglichen Textfassung zu lesen).

(Erstveröffentlichung 05.08.2023 auf klimareporter.de)