(Mai 1993)
Vom 14.-16. Mai 1993 fand in Leipzig die 1. Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen statt. Der folgende Antrag war Ergebnis der Diskussion in der Landes-AG Wirtschaft von Bündnis 90 Brandenburg, bestätigt von einer Mitgliedervollversammlung von Bündnis 90 Brandenburg Anfang Mai.
Antrag: Die BDK möge beschließen:
- Wir stellen fest, dass:
- die bisherigen Konzepte zur Arbeitsmarktpolitik und zum Aufschwung Ost versagt haben, weil die Wirtschaft durch falsche Rahmenbedingungen wie künstliche Verteuerung menschlicher Arbeitskraft durch hohe Lohnnebenkosten und Lohnsteuern, Wettbewerbsverzerrung zugunsten von Maschinenarbeit durch hohe Investitionszuschüsse, fehlende Anlastung von ökologischen und sozialen Folgekosten nach dem Verursacherprinzip fehlgesteuert wird.
- die konkrete Arbeitsmarktsituation in den Neuen Bundesländern wie auch der notwendige wirtschaftliche Strukturwandel dringend neuer staatlicher Rahmenbedingungen bedarf. Notwendig ist eine Ökologisch-Soziale Steuerreform: Steuern und Abgaben auf menschliche Arbeitskraft sind zu senken, stattdessen sind Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung zu besteuern.
- Wir schlagen folgenden Stufenplan als Einstieg in eine solche Steuerreform vor:
STUFE 1:
- Kürzung der gesetzlichen SV-Beiträge für sämtliche Treuhandbetriebe (als dauerhafte Lösung)
- Bundesweite Einführung ausgewählter Ökosteuern zum Ausgleich der Mindereinnahmen bei den Sozialversicherungen
- Ausgleich der Mehrbelastung bei den Verbrauchern durch Senkung der Arbeitnehmerbeiträge zu den Sozialversicherungen bzw. Erhöhung der direkten Zuwendungen ( z.B. ALG, Sozialhilfe, Renten, Kindergeld). Mögliche Alternative: Rückzahlung in Anlehnung an das ÖKO-BONUS-Modell (Vorschlag UPI Heidelberg).
STUFE 2:
- Ausweitung dieser Regelung auf sämtliche Arbeitgeber in den Neuen Bundesländern sowie Krisenbranchen und -regionen in den Alten Bundesländern.
- Finanzierung durch neue und/oder höhere Ökosteuern.
STUFE 3:
- Ausweitung auf das gesamte Bundesgebiet.
Die Bundestagsgruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN wird aufgefordert, in Abstimmung mit den BAG Wirtschaft und Ökologie einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten.
Begründung:
- Das Problem der Arbeitslosigkeit in den Neuen Bundesländern ist nicht länger mit den bisherigen Instrumenten lösbar. Die Schaffung hochproduktiver Arbeitsplätze mit Hilfe staatlicher Subventionen ist eine Scheinlösung, weil die Märkte voll sind, hochproduktive Arbeitsplätze nur einen kleinen Teil der bisherigen ersetzen können, wirtschaftliche Interessen Osteuropas und das Einspruchsrecht der EG zu berücksichtigen sind, die globale ökologische und soziale Krise eine Abkehr vom bisherigen Wachstumszwang erfordert und die steigende öffentliche Verschuldung einen effektiven Einsatz staatlicher Mittel verlangen.
- Der bisherige nachträgliche Verlustausgleich bei den Treuhandbetrieben ist nach Aussagen des BDI doppelt so teuer wie die Zahlung einheitlich geregelter Zuschüsse zu den Arbeitskosten. Zudem macht die bisherige Praxis die Unternehmen zu abhängigen Staatsbetrieben ohne unternehmenspolitische Motivation und Chance für eine mögliche eigenständige Entwicklung.
- Deutschland hat weltweit die höchsten Stundenlohnkosten, vor allem durch die ebenfalls welthöchsten Lohnnebenkosten. Dies motiviert natürlich zum Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch billigere Maschinenarbeit. In vielen westeuropäischen Ländern werden die Kosten zur Finanzierung des Sozialsystems weitgehend vom Staat übernommen, der sie über das Steuersystem finanziert (In Dänemark z.B. betragen die Lohnnebenkosten nur 25% des Direktlohnes – in Deutschland dagegen ca. 84%).
- Eine Einzelbetrachtung des Arbeitsmarktproblems ist ebenso falsch wie die ausschließlich ökologische Sichtweise. Beides, sowohl die Einführung von Ökosteuern wie die Senkung von Lohnnebenkosten, sind, getrennt diskutiert, politisch nur schwer durchsetzbar. Die Chance liegt in der Verbindung beider Aspekte. Ein solcher wirtschaftsverträglicher Weg kann, im Gegensatz zu vorrangig ökologischen Konzepten (Verwendung des Ökosteueraufkommens vor allem für ökologische Zwecke), auch von ärmeren Staaten z.B. in Osteuropa nachvollzogen werden.
- Mit einem solchen Stufenprogramm würde der deutschen Wirtschaft endlich eine klare Perspektive gegeben werden. Wirtschaftlich wären Investitionen in dezentrale Strukturen, Kreislaufwirtschaft, ökologisch verträgliche Technologien, d.h. in den angestrebten ökologischen Umbau.
Der Antrag wurde zur Bearbeitung weitergereicht an die neue Bundes-AG Wirtschaft. Erstes Jahresthema wurde das von uns vorgeschlagene Thema “Die Ökologisch-Soziale Steuerreform als Arbeitsmarktinstrument”. Von den „West-Grünen“ war bis dahin eine gegensätzliche Position vertreten worden: Ökosteuereinnahmen sollten vorrangig zur Finanzierung des ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft verwendet werden. Nach einem Jahr war die grundsätzliche Frage geklärt, die sogenannte „aufkommensneutrale“ Variante, also die Verwendung der Ökosteuereinnahmen vorrangig zur Absenkung von Lohnnebenkosten, wurde bestätigt.
Die Diskussion hinterließ allerdings einen zwiespältigen Eindruck. Die Frage einer weitaus stärkeren Ökosteuerfinanzierung des Sozialsystems wurde nicht diskutiert, ebenso wenig der Vorschlag zur Ökosteuerfinanzierung der Pflegeversicherung und unser Stufenmodell der Ökosozialen Steuerreform. Wir hatten zu tun, die Grundsatzfrage zu klären, danach war die Luft raus aus der Diskussion. Mit der generellen Umsteuerung des Tankers hatten wir uns also nur ansatzweise beschäftigt.