(Mai 1993)
Ich hatte ab Herbst 1991 bis Mai 1993 ein postgraduales Studium „Umwelterziehung“ an der Universität Potsdam belegt. Die Abschlussarbeit trug den Titel: „Marktwirtschaft und Ökologie – die Krise als Chance für den Ökologisch-Sozialen Umbau“. Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus dieser Arbeit. Natürlich flossen in dieses Kapitel viele persönliche Erfahrungen der letzten Jahre ein.
Die Umweltbewegung steckt in einer tiefen Krise. Kein Wunder: Die politische Entwicklung seit der “Wende” hat viele Erfolge der Vergangenheit relativiert. Dabei war tatsächlich vieles erreicht worden: Das Umweltbewusstsein in Deutschland ist hoch, es konnte Druck gemacht werden auf die Parteien. Die deutschen Umweltgesetze sind vorbildlich, das Mitspracherecht bei Investitionsplanungen ist relativ weitreichend.
Mit der Wende kam die Ernüchterung. Warum konnte im deutschen Einigungsprozess so wenig durchgesetzt werden? Das Ordnungsrecht zeigt sich als untauglich, Fehlentwicklungen zu vermeiden. Von ihrem demokratischen Mitspracherecht machen die Ostdeutschen nur wenig Gebrauch. Bei einer Arbeitslosenquote von tatsächlich fast 40 % zählt Ökologie nur wenig. Der Kampf der Umwelt-Engagierten ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel.
Und: im Ergebnis der Krise wird auch in den Alten Bundesländern beim Umweltschutz gespart. Der hohe Standard lässt sich nicht mehr halten. Frust macht sich breit.
Dabei sollten wir dankbar sein, dass nun offensichtlich wird, was schon vorher Tatsache war – dass diese Erfolge nur Scheinerfolge waren. Denn auch vor der Wende, in der alten Bundesrepublik, stieg der Energieverbrauch, die CO2Emissionen, Verkehr und Müllberge wuchsen weiter – alles trotz hohem Umweltbewusstsein. Umweltbelastende Technologien wurden in die Dritte Welt ausgelagert, wie auch der Giftmüll.
Durch die Wende ist die schon längst bestehende Krise der Umweltpolitik endlich deutlich geworden: Solange die Marktwirtschaft fehlgesteuert wird, ist alle Umweltpolitik letztlich vergeblich.
Das Versagen der Konzepte zum ökologischen Umbau
“Bei einem Konflikt Wirtschaft gegen Umwelt siegt praktisch immer die Wirtschaft.” (E.U.v.WEIZSÄCKER in „Erdpolitik“).
Genau dies haben wir bei den Beispielen weiter oben festgestellt. In der alten Bundesrepublik war der Konflikt nicht so deutlich. Eine florierende Wirtschaft machte einen verwaltungsaufwendigen und teuren Umweltschutz möglich. Er schaffte ja auch Arbeitsplätze und Wählerstimmen, Ökosteuern kamen erst 1987 in die öffentliche Diskussion der alten Bundesrepublik, als Reaktion auf Tschernobyl und zunehmende Warnungen vor der Klimakatastrophe. Vor diesem Hintergrund sind auch die “radikal-ökologischen” Ökosteuer-Konzepte der Umweltorganisationen und der GRÜNEN verständlich: Ökosteuern wurden vor allem als Instrument für den schnellen ökologischen Umbau begriffen, die Arbeitslosigkeit war kein gravierendes Thema.
Das rächte sich nach der Wende. Die Befürworter eines radikalen Weges hatten keine Chance, in der veränderten wirtschaftlichen Situation gehört zu werden. Ihr Konzept, das auf zusätzlichen Abgaben beruhte, wurde als “Öko-Luxus” abgetan, der nicht zur veränderten wirtschaftlichen Situation nach der Wende passte.
Ein neuer Wohlstandsbegriff ist notwendig
Im Einigungsprozess wurde auch die Fehlorientierung durch einen falschen Wohlstandsbegriff deutlich. Dass materieller “Wohlstand” nur zum Teil mit “Wohlbefinden”, also Lebensqualität, zu tun hat, wird in den Neuen Bundesländern deutlich.
Obwohl der Lebensstandard der meisten Familien deutlich gestiegen ist, macht sich Unzufriedenheit und Verunsicherung breit. Die Ängste haben zugenommen – vor Arbeitslosigkeit, Gewalt, Umweltzerstörung, vor der Zukunft. Wie viel Spaß macht das schnellere Auto, wenn man doch im Stau steht, die Unfallzahlen steigen, Eltern Angst um ihre Kinder haben. Wenn der Spaß am Sonnenbaden durch Angst vor Ozonloch und Hautkrebs getrübt wird? Der Wohlstand nimmt immer deutlicher den Charakter einer Ersatzbefriedigung an. Und doch ist es die Jagd nach diesem Wohlstand, die unseren Alltag bestimmt.
Der Begriff “Wohlstand” hat offensichtlich etwas mit “Standes”-denken zu tun (man will ein größeres Haus, ein schnelleres Auto als der Nachbar). Diese Orientierung passt genau in die Werbestrategie der Industrie, ist Motor des ständigen Konsumwachstums.
Dieser Wohlstandsbegriff entspricht der falschen Zielgröße der Wirtschaft, dem Bruttosozialprodukt. Da wird auch alles gezählt, was bezahlte Leistung ist, unabhängig davon, ob sie tatsächlich der Erhöhung der Lebensqualität dient. Jeder Unfall, jede Umweltbelastung lässt das BSP steigen. Unbezahlte, aber sinnvolle Arbeit im Sozial- oder Umweltbereich dagegen zählt nicht.
Hinterfragt werden muss auch das Verhältnis von Wohlstandsbegriff und Umweltbewusstsein. Welchen Wert hat ein “Umweltbewusstsein”, wenn von der Mehrheit ein Wohlstand beansprucht wird, der unverträglich ist mit dem Überleben der Menschheit? Dies ähnelt einem Öko-Aufkleber auf einem Mercedes.
Mit der Auseinandersetzung über die Fehlsteuerung der Wirtschaft muss also auch ein neuer Wohlstandsbegriff diskutiert werden. Ein Begriff, der sich an Lebensqualität und “Wohlbefinden” orientiert. Nicht nur für diese, sondern auch für zukünftige Generationen.
Die Umweltbewegung als Motor des ökologisch-sozialen Umbaus
Die alten Rezepte taugen nicht mehr. Deutschland steckt in einer tiefen gesellschaftlichen Krise, die alle Bereiche erfasst hat – Wirtschaft, Parteien, auch die Umweltbewegung, wie wir gesehen haben. Der Sozialismus ist gescheitert. Es war aber ein Irrtum, anzunehmen, dass die alte Bundesrepublik Deutschland unverändert aus diesem Umbruch hervorgehen würde.
Die Krise muss als Chance begriffen werden. In Zeiten gesellschaftlicher Stabilität haben Reformkonzepte keine Aussicht auf Verwirklichung. Schon gar nicht solche, die wie der ökologisch-soziale Umbau der Wirtschaft tief greifende Veränderungen in der gesamten Gesellschaft mit sich bringen werden.
Umso dringender ist die Neuorientierung der Umweltbewegung, die ihre Aufgabe als Motor des ökologisch-sozialen Umbaus begreifen muss. Diese Aufgabe erfordert eine neue Strategie, wenn sie in baldige politische Veränderungen münden soll. Nachfolgend einige Denkansätze zu den Schwerpunkten einer solchen Strategie:
- Sie muss von der wirtschaftlichen Krise als Normalzustand ausgehen. Nicht nur, weil das die Situation der nächsten Jahre sein wird, sondern auch, weil dies für die meisten Regionen in Europa und der übrigen Welt Dauerzustand ist.
- Hauptthema muss die Fehlsteuerung der Marktwirtschaft als Hauptursache der gegenwärtigen ökologischen und sozialen Krise sein. Konzepte zur Beseitigung dieser Fehlsteuerung müssen die Kriterien der Wirtschafts- und Sozialverträglichkeit beachten. Politische Durchsetzungsfähigkeit und langfristige Kontinuität sind entscheidend. (Konzepte müssen auch in Krisenzeiten und -regionen durchsetzbar sein, s.o.). Bisherige Konzepte, z.B. zur Ökosozialen Steuerreform, sind hinsichtlich dieser Kriterien neu zu überprüfen.
- Die Ökologisch-Soziale Steuerreform als zentrales Instrument des ökologischen Umbaus muss “politikfähig” gemacht werden. Das Informationsdefizit und die bestehenden Fehlurteile verhindern derzeit deren politische Umsetzung. Steuerreformen stehen jedoch überall auf der Tagesordnung – in Deutschland, der EG, in Osteuropa.
- Die Umweltbewegung muss Initiator einer gesellschaftlichen Diskussion über einen anderen Wohlstandsbegriff sein. Das schließt eine Diskussion über eine Neubewertung menschlicher Tätigkeiten entsprechend ihrem Beitrag zu einem “Nettowohlstand” ein.